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Die erste Rittmeisterin im Land

Schwarzwälder Bote - Birgit Heinig |

Porträt | Spendel ist die einzige ihrer Art in Baden-Württemberg und Bayern / Villinger gehen wieder voran

Sie ist die erste Frau in Baden-Württemberg und Bayern, die zur Rittmeisterin einer historischen Bürgerwehr gewählt wurde. Jetzt ist Martina Spendel verantwortlich für das runde Dutzend Reiterinnen und Reiter der Historischen Bürgerwehr und Trachtengruppe Villingen und sagt: »Es dürfen gerne noch mehr werden.«

Von Birgit Heinig - Villingen-Schwenningen.  Schon im Kinderwagen, so wurde ihr erzählt, haben besonders Pferde ihre Aufmerk-samkeit erregt. Ihr erstes Pferd bekam sie zur Kommunion geschenkt, ihr erstes Lehrlingsgehalt als Arzthelferin investierte sie in »Reika«.

Daheim war Martina Spendel in der Niederen Straße in Villingen. Hier ist sie mit ihrem Bruder bei Mama Ingrid, der »Hirschen«-Wirtin, aufgewachsen. Alle drei sind in jeder freien Minute geritten. Bis heute verbringt Martina Spendel jeden Tag zwei bis vier Stunden im Stall bei ihrem »Joe«, einem Saarländer, und dem polnischen Trakehner »Mentor« im Brunnenhof in Schwenningen.

Urlaub mit Pferd oder gar nicht
Urlaub mache sie entweder mit ihren Pferden oder gar nicht, sagt die 50-Jährige lächelnd. Ihre Tiere gehören zur Familie, wie die beiden bald 18-jährigen Zwillingstöchter. Das Reitergen gab Martina Spendel an sie weiter und auch die Liebe zur Heimat, zum Brauchtum und zur Historischen Bürgerwehr und Trachtengruppe. »Die beiden sind genauso verrückt wie ich«, erklärt die alleinerziehende Mutter und verweist auf die drei Reiterhelme im Wohnzimmerregal.

Als neue Rittmeisterin achtet Martina Spendel, wie ihre männlichen Vorgänger auch, streng auf die Sicherheit während eines Umzuges mit Menschentrauben an den Wegrändern. Immer sind Begleitpersonen dabei und dass alle Reiter und Reiterinnen ein Reitabzeichen besitzen, quasi den Pferdeführerschein, oder jahrlange Erfahrung vorweisen können, ist eine Selbstverständlichkeit. Zusätzlich nehmen die Tiere regelmäßig an einem speziellen und sogenannten »Gelassenheitstraining« teil. Außerdem müssen sich »Reiter und Pferd 100-prozentig aufeinander verlassen können. Eine Vertrauensbasis muss erkennbar sein«, sagt die Rittmeisterin.

Dankbar ist Martina Spendel dem Landeskommandanten der badischen und hessischen Milizen und Bürgerwehren, Hans-Joachim Böhm, ehemals Kommandant der Villinger, dass er und Ex-Rittmeister Ernst Maier sich dafür einsetzten, auch Frauen in die Kavallerie aufzunehmen.

Dass das ursprünglich aufgrund des Nachwuchsproblems vor allem bei den Kavalleristen und auch erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts geschah, stört sie nicht. Hoch zu Ross ausrücken durfte sie mit drei Kameradinnen immerhin schon 2013, als die Villinger Wehr gemeinsam mit der Stadt- und Bürgerwehrmusik – zusammen 150 Personen –in Leipzig mit einem Zapfenstreich anlässlich 200 Jahren Völkerschlacht bundesweit beeindruckte und sogar auf Seite eins der BILD-Zeitung erwähnt wurde. Nicht sofort, aber letztlich doch gerne habe sie Verantwortung übernommen. »Ich freue mich, wenn es mit dem Verein positiv weitergeht«, sagt sie, wohl wissend, dass die Villinger Bürgerwehr bei ihren Auftritten im ganzen Land eine gute Werbung für die Gesamtstadt ist. Und sie ist die einzige ihrer Art, die einen Fastnachtsumzug anführt.

Fastnacht wichtiger als Weihnachten
Wenn das Ende Februar wegen der Coronapandemie zum zweiten Mal nicht der Fall sein kann, ist das für Martina Spendel und ihre Familie zwar ein Drama (»Fastnacht ist für uns wichtiger als Weihnachten«), aber eine unbedingte Notwendigkeit im Sinne der Gesundheit jedes Einzelnen. »Hirn einschalten«, bittet die im Schwarzwald-Baar-Klinikum Tätige jeden im gemeinsamen Kampf gegen das Virus. Nicht noch einmal will sie erleben, dass sie, wie 2020 geschehen, wegen eines Lockdowns tagelang nicht zu ihren Pferden konnte. »Das sind Bewegungstiere, die werden krank, wenn sie nur im Stall stehen«. Vielleicht, so hofft sie, gebe es ja doch einen Umzug 2022. Dann sind wir auf Zuruf da-bei«. Die Kavallerie der Historischen Bürgerwehr und Trachtengruppe brauche zum Ausrücken an die Seite der Historischen Narrozunft nur eine sehr kurze Vorlaufzeit.

Wie die Pferde spielt die Fastnacht in Martina Spendels Leben eine Hauptrolle. Aus der mütterlichen Wohnung über dem ehemaligen Gasthaus »Hirschen«, das in den 1970er-Jahren schloss, wurde in jedem Jahr ein »Stüble«. Im Wohnzimmer wurden Bierbänke aufgestellt, im Schlafzimmer war die Bar und die Mutter stellte sich ein Feldbett ins Bad, erinnert sich Martina Spendel. Mama Ingrid war eine leidenschaftliche Köchin, unvergessen sind ihre russischen Eier und die Schäufele.

Der Schemenschnitzer Manfred Merz war Dauergast. Zusammen mit ihrem Bruder und einem Helferteam habe sie nach jedem Aschermittwoch nicht nur aufgeräumt, sondern »die ganze Bude renoviert, sogar die Wände gestrichen«, erzählt sie und lacht herzlich. Weil ihre Mutter sich das wünschte, führten nach ihrem Tod ihre Kinder das Fasnet-Stüble weiter – bis heute.

»Langweilig wird es bei uns nicht«

Dass die Kavallerie und auch die anderen Abteilungen der Historischen Bürgerwehr wie Infanterie, Miliz und Trachtengruppe nicht nur an der Fasnet im Einsatz sind, beweisen die vielen Wochenenden, die man gemeinsam bei Trachtentreffen und Jubiläumsfeiern anderer historischer Wehren verbringt. Oder ein Einsatz beim Sommertheater des Theaters am Turm hat.

2016 war Martina Spendel mit ihrem »Joe« und anderen zwei- und vierbeinigen Kavalleriemitgliedern Teil der Komödie »Figaros Hochzeit« an der Junghans-Villa. »Langweilig wird es bei uns nicht«, sagt die neue Rittmeisterin und bittet alle Pferdebegeisterten ab 16 Jahre, doch einmal auf die Homepage www.buergerwehr-villingen.de zu schauen. Und sie ergänzt: »Man muss auch kein eigenes Pferd haben«.

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